IGR-Stellungnahme April 2002 

Schriftliche Stellungnahme des IGR-NRW e.V. zum Entwurf des LMG-NRW

Das neue Landesmediengesetz: Vielfalt im Lokalfunk steht zur Disposition

Nach Artikel 5 Grundgesetz hat jeder das Recht zur Ausübung von Meinungs- und Kulturfreiheit. Durch die Aufhebung der rein öffentlich-rechtlichen Struktur wurde das duale System des Rundfunks geschaffen, in dem der lokale private Rundfunk in NRW Monopolist ist.

Grundlage des bisherigen Zweisäulen-Modells im Lokalfunk ist das Prinzip der Binnenpluralität. Wegen der Monopolstellung und des Prinzips der Binnenpluralität wurde ein System geschaffen, an dem sich die gesamte Gesellschaft aktiv beteiligen kann und somit auch inhaltlich in großer Bandbreite vorkommen soll. Auf nur einer Frequenz kann und soll sich lokale Information, Bildung und Unterhaltung bündeln.

Dieses Prinzip wird durch die Änderungen im neuen Landesmediengesetz zu Lasten der Vielfalt und der gesellschaftlichen Beteiligung in einigen Bereichen zur Disposition gestellt.

In Kommentaren zum neuen LMG NRW wird prognostiziert, daß die Bedeutung des vielfaltsichernden Bürgerfunks sich wandelt. Freie Meinungsausübung und deren Betätigungsfelder sowie die Distribution erlangen immer neue Verbreitungswege. Daher müsse die Pluralität neu diskutiert und geregelt werden. Die Vielfalt stelle sich u.a. auch über das Internet her.

Dieser Einschätzung kann nur widersprochen werden. Bürgerfunk ist und bleibt Nahraumkommunikation - gehört also zu dem einzig existierenden lokalen elektronischen Medium, dem Lokalsender. Außerdem ist Bürgerfunk flächendeckender Gesellschaftsfunk. Es gibt kein preiswerteres und demokratischeres Medium als den Bürgerfunk. Die Kosten der Herstellung, Verbreitung und des Empfanges sind mit Abstand die niedrigsten überhaupt. Außerdem kann man Bürgerfunk überall frei empfangen ohne Zugangsbarrieren wie Kabel- oder Internet-Anschluß. Es muß also kein "Eintritt" bezahlt werden, um am Meinungsbildungsprozeß teilzuhaben. Anders ist dies bei den vom Gesetz intendierten neuen Verbreitungswegen und digitalen Plattformen.

Änderungsbedürftige Gesetzespassagen:

1. Lokalfunk und integrativer Bürgerfunk

Im Abschnitt VII "Lokaler Rundfunk" findet sich überhaupt kein Hinweis auf die Verpflichtung des Lokalsenders, den Gruppen im Sendegebiet Sendezeit gewähren zu müssen. Gleichwohl ist die Verpflichtung zur Verfügungstellung der "Sendezeit für Dritte" (Kirchen und Parteien) in diesem Abschnitt verankert.

Im ersten Moment entsteht der Eindruck, Bürgerfunk ist nun ganz aus dem Gesetz gestrichen worden und hätte auch nichts mehr mit dem Lokalfunk zu tun.

Erst im nächsten Abschnitt "Bürgermedien" taucht u.a. auch der "Bürgerfunk im lokalen Rundfunk" auf und verpflichtet erst hier (nachgeordnet) den Lokalsender zur Einbeziehung der Bürgerfunkbeiträge in sein Programm.

Besser wäre im Abschnitt VII ein zusätzlicher Hinweis (Paragraph) auf Bürgerfunksendezeit und die Verantwortung der Veranstaltergemeinschaft hierfür, der dann im übrigen auch auf die Regelungen im Abschnitt "Bürgermedien" verweisen kann. Bürgerfunk ist nach wie vor integraler Bestandteil des Lokalsenders und Teil der Binnenpluralität; das sollte durch die Einbeziehung in den Abschnitt VII schon deutlich werden.

2. Sendeplatzlänge des Bürgerfunks

Im Paragraph 72 Absatz 3 greift eine Formulierung, die es im Endergebnis den Lokalradios erlaubt, generell nur noch 50 Minuten für den Bürgerfunk zur Verfügung stellen zu müssen.

Im Gesetz findet sich kein justitiabler Hinweis darauf, wann nur 50 Minuten zu gewähren sind und wann es 120 Minuten zu sein haben; und ob und in wie weit dies im Zusammenhang mit der Sendelänge des Lokalprogramms oder anderen Kriterien in Relation zu setzen ist. Ohne diesen grundsätzlichen Hinweis kann auch eine Satzung der Landesanstalt für Medien keine weitergehenden Regelungen treffen, ohne sofort anfechtbar zu sein.

Sollte die jetzt vorgesehene Formulierung unverändert bestehen bleiben, wäre dies eine unmittelbare Einladung an alle Lokalsender, dem als gesetzliche Zwangsenteignung angesehenen Bürgerfunk, die Sendezeit zu stutzen.

Die unmittelbare Folge nach Inkrafttreten des Gesetzes wäre, daß der Bürgerfunk um bis zu 60% gekürzt wird, so z.B. auch in Köln, Aachen, Duisburg und anderen Sendegebieten.

Wie sind im übrigen die "mindestens 50 Minuten" zu verstehen? Müssen diese in einem Block zur Verfügung gestellt werden oder kann der Sender diese über den ganzen Tag in kleinen Häppchen verteilen? Regelt diesen Grundsatz die Satzung?

3. Programmschema

Laut neuem LMG NW ist der Bürgerfunk im Programmschema auszuweisen, jedoch ist dieses Schema nicht Bestandteil des Lizenzierungsverfahrens. Auch fehlt eine Regelung, wie bei Änderung des Programmschemas zu verfahren ist. Die LfM NRW hat keine Chance, hier überprüfend (Vielfaltsgebot/Anschluß an redaktionelles Programm/etc.) tätig zu werden, da es an einer gesetzlichen Regelung z.B. der Anzeige und Genehmigung der Programmschemaänderung mangelt. Der Lokalsender kann machen, was er will. Wer kann dann einschreiten und dies der LfM NRW anzeigen? Wie ist das Verfahren?

4. Programmdauer

Wenn der Lokalsender für den Bürgerfunk verantwortlich ist, müßte das Programmschema und die darin ausgewiesene Sendezeit des Lokalsenders auch den Bürgerfunk beinhalten, damit eine klare Abgrenzung zum Rahmenprogramm und dem eigenen redaktionellen Programm stattfinden kann.

Der Abschnitt Programmdauer sollte einen Hinweis enthalten: redaktionelles Programm der VG + von VG verantworteter Bürgerfunk

5. Zusammensetzung Rundfunkkommission

Wenn schon die Öffnung des Marktes und die Herabsetzung von Programmanforderungen und der Wegfall von z.B. der Anzeigepflicht der Programmschemaänderungen auf der einen Seite den Rundfunkveranstaltern große neue Freiräume einräumen, so sollte nicht auch noch die gesellschaftliche Kontrolle gegenüber dem jetzigen Stand reduziert werden.

Im Bereich der Bürgermedien werden der LfM NRW große Regelungsbereiche durch Satzungskompetenz zugeschrieben; gleichzeitig mangelt es der Zusammensetzung der Gremien der zukünftigen LfM NRW an gesellschaftlicher Bandbreite zur Gestaltung eben dieser neuen Aufgabenfelder.

Aus der Erfahrung mit 15 Jahren LfR NRW Gremienarbeit wissen wir, wie wichtig z.B. auch die Einbeziehung der Bürgerfunker in die LfR-Diskussionen um den Lokalfunk war. Nur so konnten viele Konflikte befriedet und auch kreative Ideen eingebracht werden.

Der Bürgerfunk gehört auch in die neue Medienkommission!

6. Übergangsfristen

Große Teile der Regelungen der Bürgermedien werden durch Satzung der LfM NRW geregelt. Die LfM-Gremien können wohl kaum innerhalb weniger Tage sämtliche Satzungen erlassen und veröffentlichen, zumal die alten Regelungen nicht mehr übertragbar sind.

Für diesen Problembereich müssen große Übergangsfristen geschaffen werden, damit die LfM Gelegenheit hat, die entsprechenden Satzungen in Ruhe mit allen Beteiligten zu erarbeiten und abzustimmen, so wie es mit Erfolg auch in den vergangenen 11 Jahren praktiziert wurde. Die Erarbeitung des Satzungswerks für den Bürgerfunk hat seinerzeit mehrere Jahre in Anspruch genommen, obschon der Regelungsraum geringer war als beim neuen Gesetz.

Was ist, wenn das neue Gesetz in Kraft getreten ist? Gelten dann noch die alten Satzungen - und wenn ja - werden sie erst abgelöst, wenn die neuen Satzungen veröffentlicht wurden? Oder entsteht ein rechtsfreier Raum?

Schlußwort

Am Schluß möchten wir unsere Bitte formulieren, mit der Erarbeitung und Verabschiedung dieses Gesetzes nicht all das zu gefährden, was im Laufe der letzten 11 Jahre langsam entstanden und gewachsen ist.

Im Bereich des Bürgerfunks besteht diese Gefahr sehr wohl.

Zehntausende von aktiven Bürgerfunkern sehen mit sehr viel Skepsis dem neuen Gesetz und der Zukunft entgegen; die Politik hat die Chance, hier nicht zu verunsichern und zu enttäuschen! Leisten Sie uneingeschränkten Bestandschutz für die Rundfunkfreiheit der Vielfaltsreserve Bürgerfunk!

 

Christoph Schaefler, Ole Gerdes (IGR-NRW Vorstand)

 

Eine Rückblende:

Telefonstatement von Jürgen Büssow vom 10.05.1995

"Wir hier in der SPD-Landtagsfraktion sind nach wie vor davon überzeugt, daß der Bürgerfunk zum Lokalradio gehört wie die Nachrichten und das Wetter. Der Bürgerfunk muß also eine gute Zukunft haben und jetzt ist es die Aufgabe der Landesrundfunkanstalt, der Kommission, sich zum Anwalt des Bürgerfunks zu machen - oder Anwalt des Bürgerfunks zu bleiben. Wenn 180 Radiowerkstätten in Nordrhein-Westfalen nicht mehr Geld bekommen als vier oder fünf Offene Fernsehkanäle in unserem Land, dann stimmen die Relationen hier nicht. Und man muß sehr sorgfältig jetzt hier vorgehen, daß das vorhandene Geld und die vorhandenen Mittel nicht den Bürgerfunkgruppen entzogen werden, denn ein bißchen Unterstützung, bei allem Selbstengagement und bei aller Eigeninitiative, brauchen sie natürlich schon."

Frage nach "Sponsorenmarkt"

"Die Campus-Radios sind ja Low-Power-Stations, also mit kleiner Reichweite. Es ist auch nicht gedacht, daß das Campus-Radio zum Konkurrenzradio für den Lokalfunk wird. Ich könnte mir vorstellen, daß bei den Hochschulen ein spezifischer Markt entsteht, Sponsorenmarkt, der eben auf die Hochschulen zielt. Sagen wir mal Studentenkrankenversicherung oder bestimmte Abos von Fachzeitungen, die sich speziell an Studenten richten. Es gibt ja so einen bestimmten Hochschulmarkt, der über den Campus auch gar nicht hinauskommt. Und der wird hier aktiviert, ich glaube nicht, das die Hochschulen in das allgemeine Sponsoring eintreten werden. Aber es ist schon richtig, wenn auch die Offenen Kabelkanäle sich um Spenden und Sponsoren bemühen, daß hier eine Wettbewerbssituation entstehen kann, daß würde ja aber auch bedeuten, daß die LfR in ihrem Etat entlastet würde. Denn in jedem Fall müßten ja die eingenommenen Gelder aus dem Sponsoring dann gegengerechnet werden zu den Geldern, die die LfR zur Verfügung stellt. Vielleicht wird ja so Geld frei - auch für die Bürgerfunker."

Kabelkanäle Förderung

"Ich kann nur auf den Sachverstand der Landesrundfunkkommission setzen, daß hier die Aufmerksamkeit weiterhin bei den Bürgerfunkern auch bleibt und sich nicht abwendet. Sondern, daß der Bürgerfunk stabilisiert wird, denn er ist essentieller Bestandteil des Lokalradios. Während das bei den Offenen Kanälen nun nicht der Fall ist. Die Offenen Kanäle haben eine eigene Existenzberechtigung, aber wenn der Bürgerfunk nicht mehr senden würde oder wenn er nicht mehr lebensfähig wäre, dann ginge eine Vielfaltsbereicherung im Lokalradio verloren. Und damit auch ein Stück des Konzeptes des nordrhein-westfälischen Lokalradios."

Was tut SPD für die dauerhafte Gewährleistung dieser Vielfaltssicherung?

"Die SPD ist ja in einer doppelten Weise gefragt. Einmal als Gesetzgeber, da hat sie ja das nötige gemacht. Die SPD müßte jetzt untereinander, also ihre Vertreter, die in den Aufsichtsgremien sitzen, müßten sich über diese Situation klar werden, um eben eine vernünftige Strategie in der Vergabepraxis zu fahren. Ob die SPD damit mehrheitsfähig ist, steht auf einem ganz anderen Blatt, denn es sitzen ja auch noch andere Vertreter in der Landesrundfunkkommission. Aber in jedem Fall sollte die Kommission sich darüber klar werden, was sie macht, und sie sollte dies in ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bürgerfunkern und Offenen Kanal stellen."